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Wie kann ich beten?

„Nein, bitte, bitte, nein! Mach, dass das nicht wahr ist! Verlass uns nicht, Gott!“ Die Worte kamen tief aus meinem Innersten. Sie formten sich in meinem Kopf ohne mein Zutun. Es war der Moment, als meine Mutter mir am Telefon weinend sagte, dass mein Vater Krebs hat. Er müsse umgehend operiert werden.

Vieles ist verschwommen an jenem Tag. Klare Gedanken waren ohnehin kaum möglich. Kopf und Herz waren auf Autopilot geschaltet. Ich hatte mich nicht bewusst dafür entschieden, zu beten. Das Gebet, das Flehen war einfach da. Und ich wusste, ich spürte in dem Moment: Ich war nicht allein in meiner Hilflosigkeit. Ich musste nicht ins Leere schreien.

Auch abseits von Krisen ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich mehr unbewusst als bewusst bete. Im Frühverkehr: „Bitte lass mich jetzt nicht zu spät kommen!“ Beim guten Mittagessen in der warmen Sonne: „Danke, dass ich hier sitzen darf. Danke, dass endlich Frühling ist!“ Beim Ins-Bett-Bringen meiner Kinder: „Bitte lass sie endlich auch mal müde werden...“ und wenn sie dann schlafen und ich sie mir ansehe, denke ich nur: „Danke, danke Gott, dass es sie gibt!“

Beten zu können, empfinde ich als etwas unglaublich Besonderes und Bereicherndes. Ein Geschenk. Es geht dabei nicht darum, dass Gott meine Gebete sofort erhört. Am besten noch so, wie ich mir das wünsche. Nein. Es geht darum, zu wissen, dass es da ein echtes Gegenüber gibt. Kein namenloses Etwas, kein beliebiges Irgendwas. Sondern Gott, der mich hält, begleitet und trägt, durch gute und durch schlechte Zeiten. Ich muss nicht alles mit mir selbst ausmachen. Nicht alles liegt in meiner Hand und ich bin auch nicht für alles selbst verantwortlich.

Ich darf bitten. Um Hilfe, um Beistand, um Schutz und um Trost. Ich darf schreien. Über meinen Ärger, meine Verzweiflung, meine Angst. Ich kann danken für Schöpfung und Schönes, für Neues und Altes. Und wenn mir mal die Worte fehlen, dann verwende ich die, mit denen ich aufgewachsen bin. „Dein Wille geschehe“ zum Beispiel. Oder „Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich“. „Komm Herr Jesus, sei unser Gast“ oder „Vater, lass die Augen Dein über meinem Bette sein...“

Jedes Mal, wenn ich so bete, danke ich meinen Eltern für dieses Privileg. Dann erinnere ich mich daran, wie geborgen ich mich fühlte, als meine Mutter oder mein Vater abends an meinem Bettrand saßen und mit mir beteten. Und ich wusste, ich muss mich nicht fürchten. Ich werde nicht allein sein, wenn sie gleich das Zimmer verlassen. Auch wenn meine Eltern selbst nicht besonders fromm waren, haben sie mir das Beten geschenkt. Und mir dadurch die Chance gegeben, mein Gegenüber zu finden. Meinen Ansprechpartner, der mich schon durch die ausweglosesten Momente meines Lebens getragen hat.

Danke dafür! Amen

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