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Allein daheim



Mit gemischten Gefühlen räumte ich neulich die allerletzte Kiste mit meinen Habseligkeiten aus Kindheitstagen ins Auto, um sie von Deutschland nach Wien zu übersiedeln. Meine Mutter lächelte zufrieden. Froh nun endlich all meinen Kram loszusein. „Heute kann ich lachen. Vor 20 Jahren war das anders“, meinte sie. Vor 20 Jahren. Da war ich 19 und bin für immer von Zuhause ausgezogen. Für mich war das damals ein großes Abenteuer. Der Beginn einer spannenden Reise, die mich über Heidelberg, Amsterdam bis nach Wien führen sollte. Während ich mich in meiner jugendlichen Unbeschwertheit kaum mit Sentimentalitäten aufhielt, sah es in meinen Eltern ganz anders aus.


Für sie bedeutete mein Auszug vor allem ein Ende. Der Abschied vom Leben als Familie unter einem Dach. Keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr, zu denen sich überraschenderweise noch zwei Schulfreundinnen einfinden würden. Keine Berge von Wäsche, kein stundenlanges Klavierüben, keine Chauffeurdienste mehr zu den Partys im Nachbarort. Und kein Wachbleiben, bis ich nachts heil heimkommen würde. Denn von nun an würde mein Kinderzimmer leer bleiben.


Was für ein großer und schmerzlicher Schritt mein Auszug für meine Eltern war, wie schwer es ihnen gefallen sein muss, mich frei zu geben und als unabhängige Menschen wieder zu eigenen Interessen und Plänen zu finden, das kann ich erst erahnen, seit ich selbst Kinder habe. Der Gedanke, dass meine Mädchen irgendwann ihrer Wege ziehen, schnürt mir jetzt schon die Kehle zu.


Wenn ich heute daran denke, kommt mir die Geschichte vom „verlorenen“ Sohn in den Sinn, der seinen Vater bittet, ihm vorzeitig sein Erbe auszuzahlen. Er will unabhängig sein und das Leben genießen. Er packt seine Sachen zusammen, verlässt den Vater und reist ins Ausland. Der Vater lässt ihn gehen, aber im Herzen lässt er die Türen offen. So konnte der Sohn zurückkehren, auch wenn sein Weg nicht so verlaufen war, wie er oder sein Vater es sich erwünscht hätten. Dieser biblische Vater ist einer meiner persönlichen Helden und ich hoffe, dass ich meine Kinder einmal ebenso großherzig gehen lassen kann. Dass ich ihnen Wurzeln und Flügel mitgeben kann, im Wissen, dass sie nicht mir gehören. Dass sie immer nur „geliehen“ waren. Und dass ihr Weg nicht in meiner, sondern in Gottes Hand liegt.


Und wer so vertrauen kann, wer das Alte freigeben kann, der kann Neues empfangen. Auch meinen Eltern hat das Loslassen gut getan. Sie konnten sich neu definieren und neue Wege wagen. Heute freuen sie sich, wenn ich mit den Kindern für einige Tage vorbeikomme. Und sie winken uns fröhlich nach, wenn wir dann auch wieder abreisen – und endlich den letzten alten Kram mitnehmen.

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