„Nichts ist mehr heilig“, schimpften die einen. „Dem Verfall des christlichen Abendlands wird Tür und Tor geöffnet“, wetterten andere als der österreichische Verfassungsgerichtshof der Ehe für alle den Weg frei gemacht hatte.
Seit zwei Monaten ist es nun soweit und das Abendland steht noch immer. Auch wenn sich die ersten homosexuellen Paare offiziell das Ja-Wort gegeben haben. Standesamtlich zumindest. Ob sie es künftig auch in der evangelisch-lutherischen Kirche dürfen, wird am kommenden Samstag in der Synode, unserem Kirchenparlament, entschieden. Sehr viele evangelische Gemeinden pflegen einen offenen und selbstverständlichen Umgang mit dem Thema Homosexualität und unterstützen die kirchliche Ehe für alle. Aber natürlich gibt es auch in unseren Reihen Skeptiker. Kritiker. Und Gegner. Das ist auch in Ordnung, denn unsere Kirche ist genau wie unsere Gesellschaft keine Gesinnungsgemeinschaft. Wir sind eine bunte Menge an Menschen, vereint durch den christlichen Glauben und organisiert in demokratischen Strukturen. Kirche ist einer jener wenigen Orte, an dem unterschiedliche Meinungen und Positionen noch ausgehalten werden. An dem meine eigene Sicht auf die Dinge, meine Art zu leben und zu lieben nicht das „Maß aller Dinge“ ist.
Kirche ist ein Ort, an dem nicht alle gleich, aber in jedem Fall alle gleichwürdig sind. Denn so heißt es bei Paulus: „Es ist kein Ansehen der Person vor Gott.... Vor Gott sind alle Menschen gleich.“
Anders als in der katholischen Kirche ist die kirchliche Ehe für uns ja kein Sakrament. Sie ist ein „weltlich Ding“, wie Martin Luther sagte. Sie ist das „Ja“ zweier Liebender – mit Gottes Segen. Und wo immer zwei Menschen in Liebe zusammenleben und bereit sind, füreinander einzustehen, verantwortungsvoll miteinander umzugehen und miteinander zu wachsen, da wirkt Gottes Segen. Unabhängig vom Geschlecht. Dementsprechend soll ihre Beziehung auch als Ehe gesegnet werden.
Unlängst habe ich das Thema „Ehe für alle“ in einer Schulklasse besprochen und erwähnt, dass manche fürchten, die Ehe zwischen Mann und Frau könnte abgewertet werden, wenn auch Gleichgeschlechtliche vor Gott heiraten. Da entgegnete eine Schülerin spontan: „Wenn mir etwas wirklich wichtig ist, zum Beispiel Skifahren, dann wird das Skifahren doch nicht entwertet, nur weil andere das auch machen!“ Das Argument fand ich treffend. Und charmant. Und wahr. Und mir gingen Jesu Worte durch den Kopf: „Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“
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