Wie ich es wagen könne, mich über Wort Gottes zu stellen, wurde ich neulich in einem Leserbrief gefragt. Grund dafür war die Tatsache, dass ich als Pfarrerin Homosexualität nicht verurteile, sondern gleichgeschlechtliche Beziehungen segne. Und das obwohl es in der Bibel einige missverständliche Stellen gibt, aus denen man eine negative Haltung gegenüber Homosexualität herauslesen könnte. Aber diese Bibelstellen sprechen eben nie von einer auf Dauer angelegten Liebesbeziehung. Gleichgeschlechtliche Beziehungen auf Augenhöhe, so wie wir sie heute kennen, gab es damals einfach noch nicht.
Das führt zur Frage, wie man grundsätzlich mit der Bibel umgehen soll. Es gibt Menschen, die halten die gesamte heilige Schrift für Gottes vom Himmel gefallenes, unumstößliches Wort. Andere sehen in der Bibel eine einzigartige Büchersammlung, in der die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten ihre Erfahrungen mit Gott niedergeschrieben haben. Der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker meinte sinngemäß, man könne die Bibel wörtlich nehmen oder ernst. Beides zugleich gehe nicht.
Entstanden sind die biblischen Texte in einem Zeitraum von mehr als 1.000 Jahren, in einer Zeit, in der andere Werte und Normen galten als heute. Vielehe, Blutrache oder Sklaverei waren über weite Strecken selbstverständlicher Teil der Geschichte. Die Bibel steckt voller Spannungen und Widersprüche. Das fängt schon ganz am Anfang an – es gibt nämlich zwei unterschiedliche Schöpfungsgeschichten.
Ursprünglich wurde die Bibel in hebräischer bzw. griechischer Sprache verfasst und in mehrere hundert Sprachen übersetzt. Dabei passierten natürlich auch Fehler. Es gibt eine Bibelausgabe aus dem 17. Jahrhundert, in der steht: Du sollst Ehebrechen. Man hatte das Wort “nicht” vergessen.
Die Bibel – das sind für mich Erfahrungsgeschichten von Menschen mit Gott zu ihrer jeweiligen Zeit. Sie lässt uns Gottes Wirken in der Welt erkennen und auf unser eigenes Leben übertragen. Sie ist eine Quelle für Glaube, Hoffnung und Liebe. Sie enthält aber auch Geschichten von Neid, Niedertracht und Gewalt. Die Bibel hat unsere Kultur geprägt. Ohne sie zu kennen würden wir Musik, Literatur und Kunst nicht verstehen. Sie ist wunderbar – aber nicht unfehlbar.
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